Die Frage ob Kohlenhydrate vor dem Krafttraining sinnvoll sind, ist höchst umstritten. Die einen sagen, dass sie ein Muss sind, die anderen sagen, dass man sie mit gutem Gewissen weglassen kann.
Was stimmt denn nun? Wir schauen uns die Theorie, wissenschaftliche Untersuchungen und die Erfahrung von Kraftsportlern an, um diese Frage ein für allemal zu beantworten.
Die Frage ob Kohlenhydrate vor dem Training sinnvoll sind, ist wie so oft nicht einfach pauschal zu beantworten. Wer schwarz oder weiß denkt, denkt hier zu kurz.
Es spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, ob Kohlenhydrate vor dem Training Sinn machen. Was ist überhaupt das Ziel? Muskelaufbau oder Fettabbau? Wie ist die aktuelle Ernährungsweise? Low Carb oder ausgewogen? Wie lange und wie intensiv wird das Training? Bist Du Hobbysportler oder Profi Bodybuilder? Gibt es Verdauungsprobleme, wenn Du kurz vor dem Training etwas zu dir nimmst? Was genau willst Du durch Kohlenhydrate vor dem Training erreichen?
Um Antworten darauf zu finden, schauen wir uns als erstes an, welche Aufgabe Kohlenhydrate im Körper haben und welche Auswirkungen sie mit sich bringen.
Die Funktion von Kohlenhydraten im Körper
Damit ein Muskel Kraft aufwenden kann, also ein Gewicht von A nach B bewegen kann, benötigt er Energie. Diese Energie erhält der Muskel aus sogenanntem Adenosintriphosphat, kurz ATP. Das ist ein Stoff, der im Muskel gespeichert ist, jedoch nach ein bis zwei Sekunden Belastung aufgebraucht wird. Um weiteres ATP sicherzustellen, besitzt der Muskel einen kleinen Kreatinphosphatspeicher, aus dem weiteres ATP hergestellt werden kann. Dieser reicht ebenfalls nur für ein paar Sekunden aus. Als dritte Energiequelle, die weitaus länger genutzt werden kann, dienen Kohlenhydrate in Form von Glucose. Beim Abbau von Glucose entsteht weiteres ATP, was der Muskel sofort nutzen kann. Ist die Kraft, die der Muskel aufbringen muss nur sehr gering, wie z.B. beim Ausdauersport, dann dient auch Fett als Energiequelle, woraus weiteres ATP hergestellt werden kann.
Wie wir sehen ist es ein unumstößlicher Fakt, dass Kohlenhydrate für den Kraftsport unverzichtbar sind und wir ohne sie nicht genügend Energie hätten, um ein Training absolvieren zu können. Woher kommt also die Meinung, dass wir keine Kohlenhydrate vor dem Training benötigen?
Das wird damit begründet, dass der Körper Kohlenhydratspeicher besitzt, die so groß sind, dass man sich keine Sorgen machen müsse, dass sie irgendwann leer gehen. Tatsächlich besitzt unser Körper sogenannte Glykogenspeicher, die mit Glykogen, also langen Glucoseketten gefüllt sind. In unserer Muskulatur finden sich ca. 300 bis 400g und in unserer Leber ca. 80 bis 100g Glykogen. [1]
Allerdings ist unser Speicher limitiert und irgendwann könnte er aufgebraucht werden. Hier stellt sich natürlich die Frage, wie lange er ausreicht.
Wie lange reicht der Glykogenspeicher aus
Ein Krafttraining verbraucht pro Stunde, je nach Quellenangabe, zwischen 200 und 400 Kalorien. 150g Kohlenhydrate liefern 600 Kalorien. Demnach würde nach 1,5 bis 3 Stunden Krafttraining die Hälfte der Glykogenspeicher verbraucht sein.
Da das nur eine theoretische Rechnung ist, schauen wir uns eine sehr praxisnahe Untersuchung an, die von einer Forschergruppe durchgeführt wurde. Dabei wurde die Glykogenmenge im Vastus lateralis, dem größten Muskel des Quadriceps, vor und nach einem Krafttraining ermittelt. Bei den dabei durchgeführten Übungen handelte es sich um Front Kniebeugen, normale Kniebeugen, Beinpresse und Beinstrecker mit jeweils 5 Sätzen à 6 bis 12 Wiederholungen pro Übung bis zum Muskelversagen.
Dabei wurde festgestellt, dass die Glykogenspeicher nur zu 26% geleert wurden, was zeigt, dass ein komplettes Entleeren der Glykogenspeicher durch ein „normales“ Krafttraining nicht möglich ist. [2]
Selbst bei Low Carb Ernährungsweisen, in denen kaum Kohlenhydrate zugeführt werden, sind die Glykogenspeicher ausreichend gefüllt, da der Körper aus den aufgenommenen Aminosäuren ausreichend Kohlenhydrate produziert.
Die Frage, ob wir unbedingt Kohlenhydrate vor einem Training benötigen, hat sich dadurch also geklärt: Nein. Um ein Krafttraining absolvieren zu können, müssen wir vorher keine Kohlenhydrate zuführen.
Jetzt bleibt noch zu klären, ob es Vorteile mit sich bringt, Kohlenhydrate vor einem Training zuzuführen. Können wir mehr Leistung abrufen, obwohl die Kohlenhydratspeicher des Körpers für ein Training bereits ausreichen? Und ist es für den Muskelaufbau in irgendeiner Weise vorteilhaft?
Einfluss auf die Leistung
Wenn der Einfluss von Kohlenhydraten auf die Leistung analysiert werden soll, müssen wir zwischen Diätphasen und Aufbau- bzw. Erhaltungsphasen unterscheiden. In diesem Abschnitt geht es um die Aufbau- bzw. Erhaltungsphasen, d.h. um eine Ernährung in der entweder ein Kalorienüberschuss oder eine isokalorische Ernährung gefahren wird.
Zum Einfluss von Kohlenhydraten auf die Leistung schauen wir uns mehrere Studien an. In einer dieser Studien wurden die Glykogenspeicher des Quadriceps bei einer Gruppe von Kraftsportlern mit einem speziellen Training verringert. Für die nächsten 48 Stunden bekam die Hälfte der Gruppe einen täglichen Ernährungsplan mit 7,7g Kohlenhydraten pro kg Körpergewicht und die andere Hälfte 0,4g KH pro kg. Das entspricht bei einer 80kg schweren Person einer Kohlenhydratmenge von entweder 616g oder 32g pro Tag. Danach folgte ein Beintraining mit Kniebeugen, Beinpresse und Beinstrecker. Interessanterweise konnten in den Gruppen keine Unterschiede bezüglich der Leistung festgestellt werden. [3]
Diese Studie beantwortet zwar nicht die Frage ob eine Kohlenhydratzufuhr direkt vor dem Training, wie z.B. ein Maltodextrin Drink, einen Vorteil bietet, zeigt aber auf, dass eine geringe Kohlenhydratzufuhr, zumindest in einem kurzen Zeitraum, keine Leistungseinbußen mit sich bringt.
In zwei weiteren Studien, in denen kurz vor einem Krafttraining Kohlenhydrate zugeführt wurden, konnten ebenfalls keine Unterschiede festgemacht werden. [4]
Weiterhin kommt ein sehr umfangreiches Review, also eine wissenschaftliche Zusammenfassung einer Vielzahl von Studien, auf das Ergebnis, dass es zum einen nur sehr wenige Untersuchungen zu dieser Fragestellung gibt und zum anderen, dass die wenigen vorhandenen Untersuchungen keinen Effekt von Kohlenhydraten vor dem Training auf die Leistung aufzeigen können. [5]
Ein weiteres Review, das die Ergebnisse aus 19 Studien analysierte, kommt auf den gleichen Schluss und fasst zusammen: Wenn beide Testgruppen die gleiche Kalorienmenge bekamen, konnte eine höhere Kohlenhydratmenge nicht für eine bessere Leistung sorgen. [6]
Im Gegensatz dazu zeigen Untersuchungen zum Ausdauersport, dass eine vorherige Zufuhr mit Kohlenhydraten die Leistung verbessern kann. Fahrradfahrer und Läufer bspw. profitieren deshalb von einem kohlenhydratreichen Pre Workout Drink. [1]
Die Ergebnisse aus den Studien verwunderten uns im Team etwas, da wir oft das Gefühl hatten, dass uns kohlenhydratreiche Booster oder Intra Workout Drinks, die wir vor einem Training konsumierten, mehr Power für unser Training gaben. Auch andere Athleten sprechen immer wieder von mehr Kraft durch Kohlenhydrate vor dem Training. Allerdings darf man nie vergessen, dass eine persönliche subjektive Erfahrung nicht mit einer placebokontrollierten Studie verglichen werden kann.
Bei einer subjektiven Erfahrung werden oft die Faktoren, die die Leistung ebenfalls beeinflussen, völlig vergessen, wie z.B. Schlaf, Regenerationszeit, Kalorienmenge, Trainingsintensität, Kohlenhydratmenge, Proteinmenge, Stresslevel, Koffeinmenge, Motivation, Trainingsbuddy etc. Hatte man bspw. an einem Trainingstag nur 6 Stunden Schlaf und an einem anderen 8 Stunden, so wird sich das definitiv auf die Leistung auswirken. In Studien werden diese Faktoren dadurch relativiert, dass mehrere Personen genau den gleichen Ablauf befolgen. Gibt es einen Ausreiser, weil eine Person bei einem Training viel weniger Schlaf hatte, wirkt sich das nur geringfügig auf das Gesamtergebnis aus.
Was wir aus den Untersuchungen auf jeden Fall mitnehmen können ist, dass wir uns als Hobbysportler nicht den Kopf zerbrechen müssen, ob wir Kohlenhydrate vor dem Training einnehmen müssen oder nicht. Laut Studien reichen die Glykogenspeicher für eine angemessene Leistung definitiv aus. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass ein Kalorienüberschuss oder isokalorische Bedingungen herrschen.
Einfluss auf die Leistung während einer Diät
In einer Diät sind die Glykogenspeicher weniger gefüllt, da dem Körper weniger Nährstoffe zur Verfügung stehen, als er eigentlich benötigt. So wäre es logisch, die Kohlenhydrate, die dem Sportler am Tag zur Verfügung stehen, vor allem vor dem Training zur Energiebereitstellung und nach dem Training zur Regeneration zuzuführen.
Aus der Erfahrung vieler Athleten wissen wir, dass eine Kohlenhydratzufuhr vor einem Training während einer Diät die Leistung verbessert. Zumindest fühlen sich viele Sportler nicht ganz so ausgelaugt. Geeignete Studien zu diesem Thema konnten wir allerdings nicht finden. Dennoch macht es unter Berücksichtigung der verringerten Glykogenspeicher einfach Sinn, auf Nummer sicher zu gehen und schnell verfügbare Kohlenhydrate vor dem Training zuzuführen.
Hier können wir empfehlen: Wer sich in einer Diät befindet und damit ein Kaloriendefizit fährt, sollte seine Kohlenhydratzufuhr rund um sein Training verteilen und beobachten, ob eine Zufuhr vor dem Training hilfreich ist.
Einfluss auf den Muskelaufbau
Wie wir gesehen haben ist ein positiver Einfluss von Kohlenhydraten vor dem Training auf die Leistung in Aufbau- und Erhaltungsphasen wissenschaftlich nicht belegt.
Wie sieht es aber mit dem Muskelaufbau aus? Gibt es hier Vorteile, wenn Kohlenhydrate vor einem Training zugeführt werden?
Während des Trainings überwiegen katabole Stoffwechselprozesse, was bedeutet, dass u.a. auch Muskelprotein abgebaut und für die Energiegewinnung genutzt wird. Dabei wird das Protein in Aminosäuren und anschließend in Glucose umgewandelt, um damit neues ATP herzustellen. Werden Kohlenhydrate zugeführt, steigt die Ausschüttung des körpereigenen Hormons Insulin. Dieses bewirkt, dass die Bildung von Glucose aus Proteinen gehemmt wird und somit den Muskelabbau verringert. Demnach spricht eine Zufuhr von Kohlenhydraten vor dem Training für den Muskelschutz definitiv dafür.
Mindestens genauso wichtig ist aber auch die Zufuhr von Kohlenhydraten nach dem Training, da die Glykogenspeicher in dieser Phase besonders empfänglich dafür sind und dadurch sehr effektiv gefüllt werden können. Das ist vor allem für das nächste Training von Bedeutung. Denn sind die Glykogenspeicher stark befüllt, wird dem Körper signalisiert, dass weniger körpereigene Muskelproteine für die Energiegewinnung herangezogen werden sollen. [1]
Weiterhin erfährt ein Athlet mit wenig gefüllten Glykogenspeichern einen stärkeren Anstieg an Stresshormonen und eine größere Beeinträchtigung mehrerer Immunfunktionsindizes. Die Zufuhr von Kohlenhydraten kann dem nachweislich entgegenwirken. [7]
Einfluss auf den Fettabbau
Wer nicht nur Muskulatur aufbauen, sondern auch Fett verbrennen möchte, stellt sich womöglich die Frage ob Kohlenhydrate vor dem Training die Fettverbrennung einschränken könnten. Hier ist wichtig zu unterscheiden ob ein Krafttraining oder ein Ausdauertraining für die Fettverbrennung genutzt wird. Wie wir weiter oben gesehen haben, werden für die Energiegewinnung beim Krafttraining hauptsächlich Kohlenhydrate und teilweise Aminosäuren vom Körper genutzt. Kohlenhydrate wegzulassen, würde also nicht zu einer größeren Fettverbrennung führen.
Bei einem Ausdauertraining wird dagegen je nach Intensität sehr viel Fett für die Energiegewinnung herangezogen. Nehmen wir vor einem Training Kohlenhydrate zu uns, kommt es zu einem Insulinanstieg, der die Fettverbrennung tatsächlich ausbremst. Allerdings, was viele nicht wissen, führen nicht nur Kohlenhydrate zu einem Insulinanstieg, sondern auch Proteine!
Wenn man seinen Fettverbrennungsapparat also anschmeißen möchte, müsste man das Ausdauertraining deshalb in gefastetem Zustand durchführen. Aber wie groß ist der Unterschied wirklich? In der Praxis hat sich gezeigt, dass im gefasteten Zustand zwar mehr Fett während des Trainings verbrannt wird, dabei jedoch der Nachbrenneffekt, also der Kalorienverbrauch nach dem Training, geringer ausfiel. Denn der Körper stellt sich nach einem gefasteten Training darauf ein, nicht mehr so viele Fettsäuren loszuwerden. Auf der anderen Seite ist in einem nicht gefasteten Zustand die Fettverbrennung während des Trainings zwar geringer, dafür aber der Nachbrenneffekt größer. Insgesamt kommt man deshalb auf ein ähnliches Ergebnis.
Wer also Fett verbrennen will, sollte sich nicht den Kopf zerbrechen und sich an den wichtigsten Leitsatz halten: Die Diät, die am besten in den Alltag integrierbar ist und am leichtesten durchführbar ist, ist die beste! Wem es sehr schwer fällt im gefasteten Zustand ein Ausdauertraining durchzuführen, sollte demnach davor etwas essen. Am Ende des Tages ist vor allem das Kaloriendefizit die ausschlaggebende Erfolgskomponente.
Wie viel KH sollte ich vor dem Training zuführen?
Wie viele Kohlenhydrate vor dem Training zugeführt werden sollen, hängt davon ab, ob wir uns in einer Aufbauphase oder Diätphase befinden.
✅ Während einer Aufbauphase können wir mit ca. 30 bis 60g Kohlenhydraten vor dem Training rechnen.
In einer Diätphase steht uns Sportlern nur eine bestimmte Kalorienmenge zur Verfügung, z.B. 1800kcal. Da wir auch Proteine und Fette zu uns nehmen, bleibt uns nur eine limitierte Menge an Kohlenhydraten übrig. Diese müssen wir klug aufteilen und bestmöglich auf die Zeit vor dem Training und nach dem Training verteilen. Hier muss individuell berechnet werden, wie viele Kohlenhydrate rund um das Training zur Verfügung stehen.
Welche Kohlenhydrate machen Sinn?
Bewährt haben sich im Kraftsport mittelkettige Kohlenhydrate wie Maltodextrin und Cluster Dextrin. Beide Varianten stehen dem Körper schnell zur Verfügung und versorgen die Muskulatur mit Energie. Auch hier empfehlen wir 30 bis 60g vor dem Training zu testen.
Unsere Empfehlungen für Kohlenhydrate vor dem Training
- VAYU Intra
- ESN Intra Drive
- OS Nutrition Götterpuls Intra
- VAYU Ricepudding
Literaturverzeichnis
[1] | C. M. Kerksick, „International society of sports nutrition position stand: nutrient timing,“ J Int Soc Sports Nutr, 2017. |
[2] | P. A. Tesch, E. B. Colliander und P. Kaiser, „Muscle metabolism during intense, heavy-resistance exercise,“ Eur J Appl Physiol Occup Physiol, 1986. |
[3] | J. B. Mitchell, P. C. DiLauro, F. X. Pizza und D. L. Cavender, „The effect of preexercise carbohydrate status on resistance exercise performance,“ Int J Sport Nutr, 1997. |
[4] | M. S. Conley und M. H. Stone, „Carbohydrate ingestion/supplementation or resistance exercise and training,“ Sports Med, 1996. |
[5] | C. M. Kerksick, S. Arent und B. J. Schoenfeld, „International society of sports nutrition position stand: nutrient timing,“ J Int Soc Sports Nutr, 2017. |
[6] | M. Henselmans, T. Bjørnsen, R. Hedderman und F. T. Vårvik, „The Effect of Carbohydrate Intake on Strength and Resistance Training Performance: A Systematic Review,“ Nutrients, 2022. |
[7] | M. Gleeson, D. C. Nieman und B. K. Pedersen, „Exercise, nutrition and immune function,“ J Sports Sci, 2004. |