Bisher ging man fest davon aus, dass der Körper überschüssiges Protein einer Mahlzeit schlichtweg verbrennt. Die allgemeine Meinung lautete, dass der Körper nur rund 20 bis 30g Protein pro Mahlzeit verwerten kann – und die Menge ausreiche, um die Muskelproteinsynthese maximal zu fördern. Doch wie aktuell ist diese Vorstellung eigentlich? Einige Studien, die für solche Annahmen als Grundlage dienen, sind mittlerweile als veraltet anzusehen. Neue Studien lassen zudem an diesen Vermutungen zweifeln – und ermöglichen interessante Rückschlüsse. Was genau damit gemeint ist, erfahrt ihr nachfolgend im Detail.
Die wichtigsten Fakten kurz und knapp
- Eine Studie aus 2023 zeigt, dass eine höhere Eiweißmenge pro Mahlzeit eine höhere und länger andauernde anabole Wirkung hervorruft [1]
- Überschüssige Aminosäuren werden also nicht – wie bisher angenommen – einfach nur verbrannt, sondern vollständig verwertet
- Das eingenommene Eiweiß wird über den verlängerten Verwertungszeitraum konsequent in das Muskelgewebe mit eingebaut [2]
- Die Untersuchungen fanden im Rahmen der Studie nur zwölf Stunden lang statt – die Ergebnisse halten aber vermutlich wesentlich länger an
Bisherige Annahmen zur Proteinverwertung pro Mahlzeit
Bisherige Studien kamen zu dem Schluss, dass die Einnahme von 20g Eiweiß pro Mahlzeit für beste Ergebnisse in Bezug auf die Muskelproteinbiosynthese nach dem Training sorgen würde [3]. Die Nachweise entsprechender Studien wurden jedoch sehr eingeschränkt geliefert: Es wurden lediglich die Wirkungen kleiner Mengen an Protein pro Mahlzeit betrachtet (0-40g) – und das über einen recht kurzen Zeitraum (maximal sechs Stunden). Man könnte also sagen, dass die Studien eher unzureichende Grundlagen für bisherige Annahmen liefern. Da zudem ein beträchtlicher Teil entsprechender Studien vor mehr als 15 Jahren durchgeführt wurde, ist es höchste Zeit, die angewandten Methoden in Frage zu stellen.
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Aufbau der neuen Studie
Die neue Studie befasst sich aufgrund der eher dünnen Beweislage zu bisherigen Annahmen nun genauer damit, wie viel Eiweiß aus einer einzigen Mahlzeit wirklich verwertet werden kann – oder ob überschüssiges Protein schlichtweg verbrannt wird. Die Studie aus Dezember 2023 umfasste 36 Männer im Alter von 18 bis 40 Jahren, die ein bis drei Trainingseinheiten in der Woche absolvieren mussten. Die Probanden wurden durch das Zufallsprinzip in drei Gruppen zu je zwölf Männern eingeteilt und durften zwei Tage vor der Studie keinen Sport treiben und am Vorabend zur Studienteilnahme lediglich eine standardisierte Mahlzeit zu sich nehmen.
Die Studie wurde dann wie folgt durchgeführt: Gruppe 1 erhielt als Kontrollgruppe 800ml Wasser ohne Proteinzusatz, während Gruppe 2 800ml Wasser mit 25g Protein und Gruppe 3 mit 100g Eiweiß erhielten. Bei dem Eiweiß handelte es sich um radioaktiv markiertes Milchprotein, das zu 80 Prozent aus langsam verdaulichem Casein und 20 Prozent aus schnell verdaulichem Molkenprotein bestand. Bei der Studie wurde auf Blutproben gesetzt, die rund 150 und 60 Minuten vor der Eiweißzufuhr entnommen wurden. Im nächsten Schritt wurde ein Krafttraining durchgeführt, das aus jeweils 4×10 Wiederholungen dieser Übungen bestand:
- Beinpresse
- Beinstrecker
- Latziehen
- Brustpresse
Direkt nach dem Training wurde eine weitere Blutprobe entnommen, sowie das Wasser mit oder ohne Proteinzusatz verabreicht. Blutproben folgten nach 30 und 60 Minuten, sowie stündlich (zwölf Stunden lang). Auch eine Muskelbiopsie fand direkt nach dem Training, sowie vier, acht und zwölf Stunden nach der Einnahme des Proteinwassers statt.
Ergebnisse: Das zeigt die Studie
Die Blut- und Muskeluntersuchungen zeigten unter anderem, dass es keine Obergrenze für die anabole Phase nach der Proteinzufuhr gibt. Das bedeutet: Die Muskelproteinbiosynthese-fördernde Wirkung der Einnahme hielt auch weit über die sechs Stunden früherer Studien an. 100g Protein anstatt der 25g Eiweiß sorgten nicht nur für eine stärkere, sondern auch länger andauernde anabole Phase. Die Verfügbarkeit der Aminosäuren sei laut Studienergebnissen abhängig von der Dosis – und geht zu jedem Zeitpunkt der Untersuchung (beispielsweise auch nach acht Stunden) mit der Erhöhung der Muskelproteinsynthese einher. Doch damit nicht genug: Die Proteinsynthese findet laut Studienergebnissen im ganzen Körper vermehrt statt – beispielsweise auch im Bindegewebe.
Aus den Studienergebnissen schließen die Autoren: Auch größere Eiweißmengen werden vom Körper effektiv anabol verwertet – lediglich über einen längeren Zeitraum hinweg. Die erhöhte Muskelproteinbiosynthese bleibt so lange erhalten, wie die Aminosäuren zur Verfügung gestellt werden, also im Blutplasma erhöht vorliegen.
Wird überschüssiges Protein also verbrannt?
Durch die höhere Proteinzufuhr wird der Aminosäurespiegel im Blutplasma also erhöht – und die Aminosäuren werden verstärkt in das Gewebe eingebaut. Die erhöhte Verfügbarkeit der Aminosäuren geht allerdings nicht mit einer erhöhten Aminosäureoxidation einher. Letztere liegt bei rund 15 Prozent der eingenommenen Proteinmenge – unabhängig von der Eiweißdosis selbst. Dies scheint auch bei schnell verdaulichem Molkenprotein der Fall zu sein.
Das gilt es zu den Studienergebnissen zu bedenken
Wie die Autoren der Studie selbst beschreiben, wurden die Ausgangswerte der Probanden nach der zwölfstündigen Untersuchung nicht wieder erreicht. Dementsprechend wird die aufgenommene Proteinmenge vermutlich länger verstoffwechselt und zur Proteinsynthese in Muskulatur und Bindegewebe eingesetzt, als in der Studie gemessen. Zudem wurden in dieser Studie junge, gesunde Männer als Probanden herangezogen. Ob bei anderen Gruppen unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten wären, kann damit nicht genau gesagt werden. Auch, ob bei geringerer sportlicher Aktivität oder medizinischen Beeinträchtigungen mit anderen Ergebnissen zu rechnen wäre, ist unklar. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Ergebnisse in weiteren und größer angelegten Studien weiter zu untersuchen.
Zusammenfassung: Überschüssiges Protein aus einer Mahlzeit wird nicht einfach verbrannt
Die Autoren heben auch hervor, dass die Ergebnisse wie folgt interpretiert werden können: Weniger regelmäßige Mahlzeiten mit höherer Proteinmenge dürften daher genauso effektiv sein, wie regelmäßig über den Tag hinweg eingenommene Mahlzeiten. Intermittierendes Fasten dürfte demnach kein Problem sein, wenn ihr Muskeln aufbauen möchtet. Damit ist auch die Gesamtmenge an eingenommenem Eiweiß eines Tages bedeutsamer, als das Timing. Überschüssiges Protein wird nicht einfach verbrannt, sondern auch nach Stunden noch effektiv verwertet. So lange der Aminosäurenspiegel im Blut erhöht bleibt, werden die Aminosäuren effektiv in Muskulatur und Bindegewebe eingebaut. Es findet keine erhöhte Oxidation nach Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes statt. Da jedoch unklar ist, wie lange genau dieser Effekt anhält, sind weitere Studien zur Spezifizierung dieser Ergebnisse vonnöten.